Laut einer Statista-Studie vom Jahr 2021 leiden 60 Prozent der deutschen Bevölkerung an Schmerzen. Frauen werden dabei meist von Kopfschmerzen geplagt

60 Prozent der Menschen litten laut einer Statista-Studie im Jahr 2021 in den letzten zwölf Monaten an Schmerzen – mehr als 12 Millionen aller Deutschen an langanhaltenden chronischen Schmerzen. Frauen werden meist von Kopfschmerzen geplagt, während bei Männern der Rückenschmerz dominiert.

Was ist Schmerz?
Die „International Association for the Study of Pain “(IASP) definiert Schmerz wie folgt: „Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird.“

Jeder Mensch empfindet Schmerz unterschiedlich stark, abhängig von verschiedenen Faktoren, wie z.B:

der in der Vergangenheit gemachten Erfahrung,
der Erwartungshaltung gegenüber Schmerz,
der sozialen Situation oder
dem aktuellen emotionalen Befinden.
Die Dauer von Schmerz kann unterschiedlich sein. Akuter Schmerz hält so lange an, bis das verletzte Gewebe ganz verheilt ist. Das ist meist nach etwa sechs Wochen der Fall. Dauert der Schmerz auch danach noch an, spricht man von chronischem Schmerz.

„Etwa drei Viertel meiner Patientinnen und Patienten kamen in meine Praxis aufgrund chronischer Rückenschmerzen“, berichtet BVO-Mitglied Michael Weber. Schmerzen, für die keine medizinische Ursache mehr zu finden ist.

 
Wie werden Schmerzen chronisch?
„Nehmen wir das Beispiel Rückenschmerzen. Oft ist da nichts mehr zu finden, aber es tut trotzdem weh. Obwohl eine Struktur fast immer nach sechs Wochen komplett verheilt ist, bleibt der Schmerz“, erklärt Michael Weber, der seit knapp 15 Jahren in eigener Praxis als Faszien- und Physiotherapeut mit dem Schwerpunkt Osteopathie arbeitet. „Dann rutschen wir in den chronischen Schmerz, ein Schmerz, der über längeren Zeitraum wahrgenommen wird.“

Wenn das geschieht, haben Schmerzen ihre Warnfunktion, ihre Bestimmung verloren. Sie quälen den Menschen, lassen ihn leiden. Das kann viele Ursachen haben, wie z.B. die Psyche. Oder Nervenzellen werden dauerhaft gereizt, wodurch sich Rückenmark und Teile des Gehirns verändern. Das fein justierte System des Körpers gerät durcheinander, wird gestört.

Anhaltender Schmerz befeuert die psychische Belastung und die Angst vor dem Schmerz. Daraus folgt Depression und/oder Stress. Michael Weber erklärt das anhand des berühmten Beispiels vom Säbelzahn-Tiger: „Um seinem Angriff lebend zu entkommen, war es notwendig blitzschnell zu reagieren. In solch lebensbedrohlichen Situationen löst das Gehirn die Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol aus. Alle nicht lebensnotwendigen Körperfunktionen werden auf das Minimum heruntergefahren, um alle Kraft dem Tiger entgegenzusetzen.“

Und weiter sagt er: „In Zeiten unserer Vorfahren hat sich diese lebensbedrohliche Situation schnell wieder gelegt: Entweder war der Tiger besiegt oder der Mensch. Die Stresshormone werden nicht mehr ausgeschüttet, der Körper funktioniert wieder normal. Heutzutage aber lösen sich Situationen, vor denen wir Angst haben, leider nicht mehr so schnell auf.“

Der Auslöser für Stress habe sich verändert. Da sei der Druck, der auf Menschen laste: Der Druck, Erwartungen des Arbeitgebers zu erfüllen. Oder der Druck der Gesellschaft – schlank, fit und gesund zu sein. Aber auch die Erwartung an sich selbst: Ein toller Vater oder Mutter zu sein, gleichzeitig berufstätig und ein guter Partner/eine gute Partnerin zu sein.

„Dieser Druck wird von unserem Gehirn als eine anhaltende Bedrohung empfunden: Wir sind im Dauerstress. Der Körper wird unaufhörlich mit dem giftigen Stress-Hormon-Cocktail geflutet“, erklärt er. „Das erhöht unter anderem die Wahrnehmung von Schmerz. Er wird leichter wahrgenommen. Auch, wenn kein spezieller Reiz da ist. Dann nämlich bedient sich das Gehirn der Erinnerung an einen Schmerz und das „Schmerzgedächtnis“ ist entstanden.“

 
Was Osteopathie bei chronischen Schmerzen leisten kann
„Die Person ist eine Einheit von Körper, Geist und Seele. Struktur und Funktion beeinflussen sich gegenseitig.“ Andrew Taylor Still, Begründer der Osteopathie, 1914

„Das Prinzip von A.T. Still können wir Osteopathen dem Schmerzgedächtnis entgegensetzen“, sagt Weber. „Unser Gehirn ist ein fauler Kumpan. Es bildet Abkürzungen, wo es nur kann. Wird eine Struktur verletzt, sendet es zunächst den Alarm „Schmerz“. Während das Gewebe heilt, nimmt der Schmerzalarm ab. Doch manchmal kommt es vor, dass unser Gehirn die verletzte Struktur als Erinnerung abspeichert. Auf diese Weise erspart es sich, sich ständig darüber zu erkundigen, inwieweit die Heilung der Struktur fortgeschritten ist. Es schickt einfach unentwegt den Schmerzalarm. Wie eine Vinylplatte, die „hängen geblieben“ ist, oder eine Software, die sich „aufgehängt“ hat. Das ist das Schmerzgedächtnis.“

Daher weiß Michael Weber: „Es ist wichtig, Schmerzen zu behandeln, wenn sie entstehen und nicht zu lange damit zu warten.“

Ein Schmerzgedächtnis ist eine Erinnerung, und die kann nicht gelöscht werden. Doch sie kann überschrieben werden. Weber versucht das mit osteopathischen Techniken zu erreichen, die er mit Neurocoaching verbindet. „Die Osteopathie ist ein herrliches Werkzeug, um dem Körper Veränderung anzubieten.“ Er möchte die Menschen von chronischen Schmerzen befreien. Dazu bearbeitet er die betroffenen Strukturen mit seinen Händen und verändert so die Information, die an das Gehirn gesendet wird. Durch schmerzfreie Mikrobewegungen holt er die Menschen zurück in die Mobilität.